Mit gewissen Themen tut man(n) sich unheimlich schwer. So beispielsweise mit der Schwangerschaft. Nicht dass davon Männer nun direkt betroffen wären, doch man kann darauf zählen, dass irgendwann vor Weihnachten eine theologische Frage wieder neu aufblüt, die unter dem Jahr keine grosse Beachtung findet. Es geht um die Frage der Geburt Jesu durch die Jungfrau Maria. Das Thema wurde im letzten Jahr aufgegriffen, die Jahre zuvor und in diesem Jahr konnte es ja nicht anders sein.
Worum geht es eigentlich?
In diesem Jahr ist es Margot Käßmann, welche die Geburt von Jesus durch eine Jungfrau für ein Übersetzungsproblem hält. Im letzten Jahr sorgte ein Pastor der FEG in Deutschland für Aufruhr, als er sich dazu bekannte, dass er nicht an die Jungfrauengeburt glaube.
Vielfach wird ins Feld geführt, dass es sich bei der Jungfrauengeburt um einen Übersetzungsfehler handle. Es geht konkret um die Stelle aus Matthäus 1,22-23, in der es heisst:Das alles ist geschehen, weil sich erfüllen sollte, was der Herr durch den Propheten vorausgesagt hatte: »Seht, die Jungfrau wird schwanger werden und einen Sohn zur Welt bringen, und man wird ihm den Namen Immanuel geben.« (Immanuel bedeutet: »Gott ist mit uns«.)
Hier müsste, so die Kritiker der Jungfrauengeburt nicht Jungfrau, sondern „die junge Frau“ stehen. Das Problem wird auf die Septuaginta (eine griechische Übersetzung des hebräischen Textes, die etwa 250-200 v. Chr. entstanden ist) zurückgeführt. Matthäus zitiert hier Jesaja 7,14 aus der Septuaginta und da steht für Jungfrau (bzw. junge Frau) das Wort παρθένος (parthenos). Im hebräischen Text jedoch, so die Kritiker, würde ein Wort stehen, das ausschliesslich für „junge Frau“ steht. Es handelt sich hier um das Wort עַלְמָה (alma). Wenn also Jesaja wirklich von einer Jungfrau gesprochen hätte, so die Kritiker weiter, dann hätte er ein ganz anderes Wort – nämlich בְּתוּלָה (betula) – verwendet. Doch was ist da dran an diesen Argumenten? Kann man ausschliessen, dass Jesus von einer Jungfrau geboren wurde? Ist es am Ende vielleicht so, dass Jesus ganz auf natürliche Weise zur Welt gekommen ist? Diesen Fragen möchte ich hier auf den Grund gehen.
Meint das Wort „alma“ eine junge Frau?
Das Wort alma bedeutet in der Tat ganz streng betrachtet eine „junge Frau“ oder ein junges Mädchen. Doch wird das Wort primär damit verbunden, dass sich eine Frau / ein Mädchen noch nicht von einem Mann erkannt (d.h. von ihm zur Frau genommen) wurde, sich aber im heiratsfähigen Alter befinden kann.
Ganz praktisch zeigt sich dies an der Geschichte als Abrahams Knecht eine Frau für Isaak suchte (1. Mose 24). Der Auftrag vom Knecht war es eine Frau aus der Verwandtschaft von Abraham zu suchen (V. 4). Hier steht das Wort אִשָּׁה (ischa), welches für eine Frau im Gegensatz zu אִישׁ (isch) einem Mann steht. Der Knecht bekam im Grunde nicht den Auftrag primär eine junge Frau zu suchen und doch war es für ihn logisch, dass er eine junge Frau (d.h. eine Frau im heiratsfähigen Alter) sucht (V. 43). Er wollte eine Frau finden, die bereit war zu heiraten, das entsprechende Alter besass und sicher schwingt da auch mit, dass sie keinem Mann gehören sollte und (noch) mit keinem Mann verkehrte. Genau das wird auch in Vers 16 zum Ausdruck gebracht, wenn es heisst:
Und das Mädchen war sehr schön von Angesicht, eine Jungfrau, die noch von keinem Manne wußte. Die stieg hinab zum Brunnen und füllte den Krug und stieg herauf.
An dieser Stelle wird der Ausdruck בְּתוּלָה (betula) verwendet. Also jenes Wort, welches von den Kritikern auch angeführt wird, welches Jesaja hätte verwenden sollen, dass es sich um eine Jungfrau handle, die Schwanger würde. Jetzt ist es aber so, dass ein Teil der Geschichte vom Knecht und Rebekka zwei mal erzählt wird.
1. Mose 24,1-27: Zuerst geht es darum, dass Abraham seinen Knecht aussendet mit dem Auftrag eine Frau für seinen Sohn zu suchen. Dieser Teil endet damit, dass Rebekka erzählt, wer sie ist und mit dem Gebet vom Knecht Abrahams. In diesem Abschnitt wird Rebekka als ein junges Mädchen (נַעֲרָה) beschrieben, das noch Jungfrau war (V. 16).
1. Mose 24,28-49: Dieser Teil beginnt damit, dass Rebekka zu dem Haus ihrer Mutter lief und bei ihr zuhause alles erzählte was eben vorgefallen war. Der Knecht von Abraham wird durch ihren Bruder Namens Laban reingebeten und er erzählt alles der Reihe nach, was er erlebt und wie Gott ihn geführt hatte. In diesem Abschnitt wird Rebekka als eine (עַלְמָה) alma – also streng genommen eine junge Frau oder ein junges Mädchen bezeichnet.
Von dieser Parallele her gesehen ist klar, dass eine alma (ein junges Mädchen) durchaus eine betula (eine Jungfrau) sein kann. Im übrigen ist mir keine Stelle bekannt, in der eine verheiratete Frau als eine „alma“ bezeichnet wurde. Das Wort Alma kommt neben der Geschichte mit Isaak und Rebekka noch an fünf Stellen vor (2. Mose 2,8; Psalm 68,26; Sprichwörter 30,19, Hoheslied 1,3, Hoheslied 6,8). Nie geht es dabei um eine junge Frau, die bereits mit einem Mann zusammenlebte oder Verkehr mit einem hatte. Zumindest geht das aus dem Text nicht eindeutig hervor. Immer wenn ein Mann eine Frau zu sich nahm, so wurde sie nicht mehr als eine „junge Frau“ oder ein „junges Mädchen“ angesehen, sondern als eine Frau und so ist es dann auch in dieser Geschichte. Als Isaak Rebekka zu seiner Frau nahm wurde aus dem Mädchen oder der jungen Frau, seine Frau. Hebräisch gesprochen, aus einer Alma (V. 16) wurde seine Ischa (V. 67). Rein äusserlich betrachtet war sie wohl immer noch eine junge Frau, aber in ihrer Stellung in der Gesellschaft und in ihrer Bezeichnung änderte sich etwas.
Zwar kann man behaupten, dass die Bezeichnung „junge Frau“ nicht zwingend eine „Jungfrau“ bedeuten muss, aber biblisch gesehen gibt es keinen Grund dafür anzunehmen, dass es nicht genauso gemeint sein kann. Sonst müsste das Wort irgendwo in einem entsprechenden Verhältnis erwähnt sein. Ist das nicht der Fall, so betrachte ich das persönlich als eine Haarspalterei.
Meint das Wort betula eine Jungfrau?
Auch hier muss man erst einmal sagen, dass in den meisten aller Fälle בְּתוּלָה (betula) eine Jungfrau meint. Doch das ist nicht ausschliesslich so. So heisst es in 5. Mose 32,25:
Das Schwert soll wüten auf den Straßen, im Hause drinnen soll der Schreck sie töten: den jungen Mann, das junge Mädchen, den kleinsten Säugling und den Greis!
Hier steht בְּתוּלָה (betula) – streng genommen Jungfrau – dem „jungen Mann“ hebr. בָּחוּר gegenüber und der Säugling dem Greis. Ich denke dass es hier nicht primär um die Jungfräulichkeit geht, sondern das Gericht generell junge und alte Menschen trifft. Doch an dieser Stelle hätte wohl der Verfasser genau so gut das Wort Alma verwenden können. Wenn die Kritiker behaupten, dass Jesaja, wenn er von einer Jungfrau spricht, das Wort betula hätte verwenden müssen, so müsste man an dieser Stelle auch behaupten, dass Mose das Wort alma hätte verwenden sollen, weil er wollte ja sicherlich nicht primär die Jungfräulichkeit zum Ausdruck bringen. Oder wir schliessen daraus, dass man alma und betula ein Stück weit auch synonym verwenden darf, weil inhaltlich eine Jungfrau im Grunde eine junge Frau meinen kann und so kann man auch den Umkehrschluss zulassen, dass eine junge Frau noch Jungfrau ist, bzw. sein kann.
Die Kritik greift zu kurz
Jetzt haben wir uns mit einigen sprachlichen Aspekten befasst. Doch mein Hauptkritikpunkt an den Kritikern der Jungfrauengeburt ist noch ein ganz anderer. Es wird hier nämlich der Eindruck geweckt, dass mit einem Übersetzungsfehler (wenn es dann wirklich einer ist), die Sache aus der Welt geschaffen ist und Jesus eben nicht von einer Jungfrau, sondern einer jungen Frau geboren wurde, die nicht auf übernatürliche Weise, sondern auf natürliche Weise schwanger wurde.
Doch sowoh Matthäus, der sich hier auf eine alttestamentliche Stelle stützt, wie auch Lukas, der diesen Bezug nicht herstellt, bringen ja noch ganz andere Aspekte zur Sprache:
Maria und Josef hatten keinen sexuellen Kontakt
Sowohl Matthäus wie auch Lukas schreiben, dass Maria und Josef noch nicht sexuell miteinander verkehrten (Mt 1,18.25; Lk 1,29). Sie waren miteinander verlobt, doch Maria war noch unberührt. Im übrigen ist interessant, dass Matthäus den ganzen Abschnitt darin einschliesst, dass Maria und Josef vor ihrer Hochzeit aber auch noch bis Maria einen Sohn zur Welt brachte, nicht miteinander verkehrten. Als wollten die beiden überhaupt keinen Zweifel aufkommen lassen, dass dieses Kind nicht etwa von Gott wäre.
Die Reaktion Marias
Maria war absolut darüber erstaunt, als sie der Engel Gabriel anspricht und ihr sagte, dass sie einen Sohn zur Welt bringen würde.
»Wie soll das zugehen?«, fragte Maria den Engel. »Ich bin doch noch gar nicht verheiratet!« (Lukas 1,34)
Das zeigt sehr eindrücklich, wie Maria dachte und nach welchen Prinzipien sie lebte. Für sie war völlig klar: Ich habe noch nie mit einem Mann geschlafen. Wie soll das denn zugehen, dass ich jetzt schwanger werde? Für uns heute ist das nicht mehr so selbstverständlich. Aber für Maria war völlig klar, das gehört sich so nicht. Erst wenn Josef mich zur Frau nimmt, so werden wir auch sexuell miteinander verkehren.
Die Reaktion Josefs
Josef, ihr Verlobter, war ein Mann mit aufrechter Gesinnung. Er nahm sich vor, die Verlobung aufzulösen, wollte es jedoch heimlich tun, um Maria nicht bloßzustellen. Während er sich noch mit diesem Gedanken trug, erschien ihm im Traum ein Engel des Herrn und sagte zu ihm: »Josef, Sohn Davids, zögere nicht, Maria als deine Frau zu dir zu nehmen! Denn das Kind, das sie erwartet, ist vom Heiligen Geist. Sie wird einen Sohn zur Welt bringen. Dem sollst du den Namen Jesus3 geben, denn er wird sein Volk von aller Schuld befreien.« (Matthäus 1,19-21)
Als Josef von der Schwangerschaft Marias erfuhr, wollte er die Verlobung auflösen und Maria heimlich verlassen um sie nicht bloszustellen. In der damaligen Zeit bedeutete dies, dass man vor Zeugen die Verlobung löste und dann wurde ein Scheidebrief ausgestellt. Denn die Verlobung war bereits ein verbindliches Heiratsversprechen, auch wenn man die Frau zu dieser Zeit noch nicht zu sich nahm. Eine Verlobung konnte daher nur durch die Scheidung aufgelöst werden. Auch die Reaktion von Josef zeigt, dass er nicht sexuell mit Maria verkehrte. Seine Annahme war klar und deutlich. Sie war mit einem anderen Mann im Bett! Erst als dann der Engel ihm im Traum alles erklärte, nahm er Maria zu sich.
Das Kind ist vom heiligen Geist
Mehrfach bringen Matthäus und Lukas zum Ausdruck, dass dieses Kind vom heiligen Geist ist:
- In seiner Einführung (Mt 1,18)
- Durch den Engel zu Josef (Mt 1,20)
- Durch den Engel an Maria (Lk 1,35)
Schlussgedanken
Dem einzelnen Wort עַלְמָה (alma) welches in der Septuaginta mit παρθένος übersetzt und welches dann auch von Matthäus verwendet wurde, das von den Kritikern als Übersetzungsfehler gilt, steht eine Fülle von Argumenten gegenüber, dass Matthäus und Lukas sehr wohl davon ausgehen, dass Jesus durch eine Frau geboren wurde, die zur Zeit der Empfängnis Jungfrau war. Die Kritik fasst also zu kurz, die Argumentationsweise auf einem Übersetzungsfehler zu begründen. Die Weihnachtsgeschichte ist meiner Meinung nach wie ein Seil, das aus ganz unterschiedlichen Fäden besteht, welche in einander verwoben sind. Die Begründung auf der Stelle aus Jesaja ist darin ein einzelner Faden. Man kann die Verwendung dieses Zitates hinterfragen. Man kann auch auf einen angeblichen Übersetzungsfehler hinweisen, doch das ändert nichts daran, dass noch weitere Fäden existieren, die genauso eine Erklärung erfordern. Statt also die Hauptkritik der Jungfrauengeburt auf einem Übersetzungsfehler zu begründen, wäre es meiner Meinung nach ehrlicher, wenn man einfach sagen würde, dass man die Berichte (Evangelien) nicht für glaubwürdig erachtet und dem biblischen Zeugnis nicht vertraut. Es ist ein sehr dünner Faden, an dem man hier hochsteigen will, um die Bibel zu widerlegen, doch die Auswirkungen auf die gesamte Theologie und dadurch auch für den Glauben sind meiner Meinung nach verherrend:
- Keine übernatüliche Geburt bedeutet, dass die Gottessohnschaft in Frage gestellt ist.
- Bei Jesus wird nur seine menschliche Seite betrachtet.
- Das biblische (neutestamentliche) Zeugnis ist nicht glaubwürdig.
Am Ende hat das biblsiche Zeugnis für uns keine Relevanz mehr. Jesus war nicht mehr als wir. Ein Mensch aus Fleisch und Blut. Auf ganz natürliche Weise gezeugt, wie Sie und wie ich es wurde. Es gibt keine von der Bibel beschriebene Präexistenz von Jesus Christus, vor aller Schöpfung. Auch solche Stellen werden dann in Frage gestellt:
Er, der Gott in allem gleich war und auf einer Stufe mit ihm stand, nutzte seine Macht nicht zu seinem eigenen Vorteil aus. Im Gegenteil: Er verzichtete auf alle seine Vorrechte und stellte sich auf dieselbe Stufe wie ein Diener. Er wurde einer von uns – ein Mensch wie andere Menschen. Aber er erniedrigte sich ´noch mehr`: Im Gehorsam gegenüber Gott nahm er sogar den Tod auf sich; er starb am Kreuz ´wie ein Verbrecher`. Deshalb hat Gott ihn auch so unvergleichlich hoch erhöht und hat ihm ´als Ehrentitel` den Namen gegeben, der bedeutender ist als jeder andere Name. (Philipper 2,6-9)
Am Ende bleibt vom Evangelium nicht mehr viel übrig. Auch sein Kreuzestod bleibt ohne Gewicht für unser Leben. Wer schon bei der Geburt von Jesus seine Zweifel hegt, wird auch seinen Tod und seine Auferstehung in Frage stellen. Ohne Wunder kommt weder die „Weihnachtsgeschichte“, noch die „Ostergeschichte“ aus.
Eine ehrliche Antwort darauf, wie dieses Wunder genau vonstatten ging, erhalten wir hier von Maria. Sie sagte zum Engel: „Wie soll das geschehen?“ Ganz ehrlich, wie das damals wirklich war mit Maria und dem Heiligen Geist, können wir wohl nie ganz verstehen, doch ich will daran festhalten und daran glauben, dass Gott damals wundervolle Dinge tat und auch heute noch durch seinen Sohn grosse Wunder tut.
Ich wünsche Ihnen gesegnete und hoffentlich auch bedeutungsvolle Weihnachten!